Everything is a Life

 

Jacques Schumacher entpuppt sich nach einer langen internationalen Karriere als Porträt- und Akt-, Mode- und Lifestyle-Fotograf als Dadaist des neuen Jahrtausends.

Spielerisch erweckt der Fotograf tote Dinge zu einem neuen Dasein.

Er schafft Rätselbilder und Bilderrätsel und verwirrt mit seinen Bildern – die Fragen stellen, ohne Antworten zu geben – wie ein Kind, das durch seine Fragen die Erwachsenen aus der Fassung bringt.

Dass Lebensfreude überall blüht, sogar im Abfall, zeigt uns Jacques Schumacher eindrücklich in seinen Fotografien.

Mit seiner Monografie gibt er uns eine Anleitung zu einer Weltsicht durch das Prisma des Humors an die Hand.

 

Kerber Verlag, 2014

 

Jacques Schumacher Photoedition 6

 

Die Idee zu den blauen Bildern entstand 1976, als ein internationales Männermagazin Jacques Schumacher bat Testfotos von jungen Frauen zu machen.

Dabei meldeten sich etliche Models, deren Aussehen nicht die Kriterien des Magazins erfüllten.

Doch Jacques Schumacher fand es zu schade, diese Mädchen einfach wieder wegzuschicken oder nur abzulichten, um sie dann auf den Kontaktbögen im Archiv zu vergessen.

Gemeinsam mit den Frauen inszenierte er neuartige Bilder und um diese noch mehr von der üblichen Erotik-Fotografie abzuheben, tonte er sie in Blau.

So entstanden Aktfotos mit einer neuen, geheimnisvollen Aura.

 

Jacques Schumacher dazu:

"Bei den blauen Bildern strebte ich eine Erotik an, die nicht eindeutig, sondern vieldeutig ist. Ich wollte Bilder erschaffen, die die Phantasie des Betrachters anregen, also Assoziationen in seinem Kopf auslösen. Die Verbindung von architektonischen und menschlichen Formen fand ich dazu besonders geeignet. Es überraschte und freute mich, dass viele Frauen meine blauen Bilder mögen.

Vielleicht liegt dies auch daran, dass meine erotischen Vorstellungen immer mit Ästhetik gekoppelt sind.

Und weil ich letztlich die Frauen auf den Fotos dem Betrachter nicht wirklich ausliefere. Zumindest nicht mehr, als die Frauen es selbst wünschen. Ausserdem erzeugt die blaue Farbe eine gewisse Distanz. Der Betrachter wird nicht sexuell attackiert.

Erotik basiert meiner Ansicht nach auf der Freiheit des Denkens, ist aber in der Fotografie immer nur partiell zu erreichen. Bilder sprechen ja nur einen Sinn an, das Sehen. Die anderen Sinne, die zur Erotik gehören, bleiben unberücksichtigt..."

 

Veröffentlichung der blauen Bilder 1983 im Schweizer Verlag Photographie

 

Monochrome Metaphysik

 

Jeder Gedanke war im Anfang ein Bild. Rem tene, verba sequentur, lehrten die Philosophen der Antike: „Halte die Sachen fest, dann werden die Worte folgen“. Der Hamburger Fotograf Jacques Schumacher hat diesen Ratschlag beherzigt - auf einer Fotografie, der er den Titel „Reste der Erinnerung“ gegeben hat. Zu sehen ist darauf zunächst kaum mehr als Trödel, Gerümpel und alter Flohmarkt-Nippes. Möglich, dass sich darunter Andenken und abgelegte Erinnerungsstücke befinden. 

 

Geschichtet jedenfalls ist das Ganze wie die berühmten Stadtmusikanten zu Bremen: Ganz unten erblickt man einen zoomorphen Roboter, darüber steht ein weißes Gießgefäß und über allem thront eine kleine Plastikpuppe. Dieses ganze Ensemble hat Schumacher gut sichtbar in einen alten Pappkarton drapiert. Und zuletzt - kaum merklich im Schatten - hat er davor noch einen verrosteten NS-Parteiadler aus den düstersten Zeiten der Geschichte gestellt. Es ist Plunder aus der Vergangenheit - perfekt komponiert und fotografisch festgefroren. 

 

Anzunehmen ist, dass die oben zitierten Philosophen ihre Freude an Schumachers „Erinnerungsresten“ gehabt hätten. Die von ihnen geforderten „Sachen“ nämlich sind hier sehr übersichtlich festgehalten. Allein - die Worte wollen nicht folgen. Etwas scheint zu fehlen bei dieser Gedächtnisskulptur. Es ist, als klaffte irgendwo eine logische Lücke. Und diese scheint etwas Typisches zu sein auf vielen Fotografien des 1933 im niederländischen Buitenpost geborenen Jacques Schumacher. Seit nunmehr dreizehn Jahren arbeitet dieser an einer Serie, der er den hintersinnigen Titel „Metaphysische Bilder“ an die Seite gestellt hat. Die „Reste der Erinnerung“ sind eines davon. Zusammengenommen sollen sie „von der Seele der Dinge erzählen“ - so will es zumindest ihr fotografischer Urheber. 

 

Mit Sprache allein ist diesen „Metaphysischen Bildern“ nicht beizukommen. Was sollte man schließlich auch sagen in Anbetracht von bandagierten Sitzmöbeln („Gefesselter Stuhl“, 1994), von fliegender Brotlaiben („Marc Lüders“ 2004) oder merkwürdig getürmten Pappkartons („Louis Karton“ 1999). Überhaupt - diese Kartons. Sie scheinen einen besonderen Stellenwert im Werk Jacques Schumachers zu haben. Auf den meist monochromen Arbeiten dieser Serie findet man sie zuhauf. Mal dienen sie als geometrischer Hintergrund, mal erscheinen sie als eigenständige Figurationen. Auf manchen Bildern sind sie beschriftet, auf anderen blank und abgewetzt. Immer aber sehen sie aus, als würden sie in sich eine Metapher bergen; eine Bedeutung, die sie indes vergessen oder vielleicht selbst auch nie gekannt haben. 

 

Ungewöhnlich ist ein solcher fotografischer Fetisch jedenfalls nicht. Der eine fotografiert Industrieanlagen, ein anderer hat Vorlieben für Motoren und Autos. Von dem amerikanischen Avantgarde-Fotografen Paul Outerbridge wird berichtet, er habe in seinem Leben rund 4.000 Fotografien von Eiern gemacht. So gesehen sind Pappkartons eine wohl eher harmlose Liebe - zumal Schumacher um das Faible seines 1958 verstorbenen Kollegen zu wissen scheint. Auf seiner Arbeit „Das Kemmsche Bild“ taucht eine von Outerbridges bekanntesten Eier-Fotografien, „Triumph of the Egg“ (1932), als unverhohlenes Zitat auf: Und auch andere Anleihen aus der Geschichte der Kunst lassen sich auf diesen mit klarer Handschrift gestalteten Bildern finden. Mal etwa zitieren sie die skulpturalen Ideen eines Man Ray, mal spielen sie mit den abstrakten Suprematismen Kasimir Malewitschs. 

 

All dies geschieht bei Jacques Schumacher sehr bewusst. So wie er die eingangs erwähnten „Reste der Erinnerung“ zu einer neuen spielerischen Figur verdichtet hat, so bedient er sich auch frei am Fundus der Kunst. Auch dessen Elemente baut er zu neuen Anordnungen und grafisch anmutenden Gefügen zusammen. Am aller stärksten sind seine „Metaphysische Bilder“ daher dort, wo sie beide Elemente in sich vereinen - wo sich das Vorgegebene mit dem Fantastischen kreuzt. Dort kann es zu den wunderlichsten Erscheinungen kommen: Plötzlich sieht man Säugetiere, die aus Vogeleiern schlüpfen („Wolpertinger“, 2008) oder Frauenbeine, die aus Hirschgeweihen zu erwachsen scheinen („Bambi“, 2003). Es ist der Sieg des Surrealen. Sinn wird hier zu Sinnlichkeit. Bekanntes wird zu Unbekanntem. Plötzlich können Dinge in unerwartete Beziehungen zueinander treten und Realitäten zu unerforschten Symbiosen verdichtet werden. 

 

In einer Wirklichkeit, in der einst Vernunft und Logos herrschten, obsiegen nun Irrwitz und Absurdität. Kunst; so schrieb schon Pablo Picasso, sei keine Wahrheit. „Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt“. In diesem Sinne sind auch Schumachers „Metaphysische Bilder“ große Lügen. Nichts, was auf ihnen gezeigt würde, wäre je mit dem Verstand vereinbar. Alles ist Poesie, Imagination und freies Spiel. Gezeigt wird hier die Wahrheit der Kunst selber. Eine Wahrheit, die sich immer wieder neu zusammensetzt; die offen ist und frei mit den Elementen spielt. Oft existiert sie nur für einen kurzen Moment. Sie ist so flüchtig und unhaltbar, wie es die meisten der hier gezeigten Konstruktionen auch sind. Sie ist die Wahrheit der Bilder und die Wahrheit der Träume. Sie ist hintersinnig, weil sie die sinnhaften Vordergründe beiseite schiebt. Auf diese Weise wird sie zu einem Hinterhalt der Wirklichkeit.- ursprünglich und vorsprachlich. In einem Wort: Sie wird Metaphysik. 

 

Ralf Hanselle Nov. 2009

power-shots 

 

Jacques Schumacher steht, wenn man sich eine Ranking-List der besten Fotografen vorstellt, dort, wo die creative Spitze zu sehen ist. Diese Wertschätzung basiert auf vielen wohlbegründeten Eigenschaften. Natürlich ist Schumacher ein Professional durch und durch.

 

Selbstverständlich verfügt er über die gestalterische und technische Sicherheit, die nur durch Erfahrung zu gewinnen ist. Doch im Kern entwickelt sich seine sensible Gestaltungskraft an einer ganz außerge- wöhnlichen und - trotz jahrzehntelanger Praxis - völlig unabgenutzen Neugier sowie einem stets wachen Interesse für die Dinge - auch und gerade im Blick auf die scheinbar unscheinbaren.

 

Jacques Schumacher lebt und arbeitet als Fotodesigner in Hamburg. Er ist ein Universalist, der Fotografien macht, die von Kunstsammlern begehrt werden. Andererseits beweist er immer wieder seine Kompetenz für die visuelle Gestaltung außergewöhnlicher Werbeauftritte.

 

Designers Digest, Nr. 73

Erotik Birne 

 

Jacques Schumacher zählt zu den bekanntesten Werbe- und Zeitschriftenfotografen Deutschlands. Mitten in der Produktion einer Kampagne für Unterwäsche entwickelte sich zwischen der Art Directorin und dem Fotografen eine Diskussion darüber, ob sich tatsächlich alle Gegenstände erotisch fotografieren lassen. Schumacher ist Spezialist für Frauenthemen und sanfte Erotik. “Alles ist eine Frage des neuen Sehens”, meinte er, “vertraute Gegenstände neu zu erfassen und in neue Zusammenhänge zu stellen macht die Fähigkeit des Fotografen aus. Ob Haarfön, Auto oder Herrenunterhose. Wir haben das dann an einer Birne ausprobiert.” Wie Sie sehen, hat Schumacher die Wette gewonnen: Erotik zum (gefahrlosen) Anbeissen mit einem reizvollen Texturvergleich. Vor allem aber bleibt solche Suche nach neuen Formen keineswegs Profis überlassen. Zumal, wenn man mit Schwarzweissfilm fotografiert. Dann lässt sich auch mit einfachen Leuchten raffiniertes Licht erzeugen.

 

fotoMAGAZIN , 4/93

Blue Fantasy

 

Born in Holland, photographer Jacques Schumacher studied graphic design at the Bielefeld Arts and Crafts Academy before moving to Paris in 1963. After several years there, he left for Hamburg, where he began his successful career as a creative and versatile photographer.

His range includes fashion and cosmetics, editorial assignments for magazines as well as advertising photography, his mainstay. He is perhaps best known for a series of calendars he created for Stern Magazine in the late 1970s. The blue fantasy images in our portfolio are excerpted from a recent monograph of his work, Photoedition 6 (Verlag Photographie, Schaffhausen Switzerland).

 

The project began in 1976, when the German edition of Playboy asked him to do test shots of women for their magazine. Numerous women applied, and Jacques took advantage of this unique opportunity and created photographs of his own design after making the tests for the magazine. To distinguish these photographs, he made black and white prints that he then hand-tinted using blue toners. The idea for this treatment came to him when he recalled that in America, erotic films were often called “blue movies.”

“I strove to give my pictures an erotic quality that would be open to a multitude of interpretations. Above all, these pictures are intended to inspire and provoke the imaginations of the spectators. In other words, I like to start a chain reaction of associations in the minds of the beholders. Here, the combination of the human form with the feel of the random decorations (sets that were built for other advertising clients) and props created strange and rather wonderful compositions. I am continually surprised at the number of people who respond strongly to them. Especially women.”

 

One reason for the peculiar attraction is that photographer Schumacher never totally surrenders the women in his photographs to the eyes of the viewer. As he puts it, “Never more than the girls want to abandon themselves. The blue tint naturally evokes a certain distance anyway. The primary impact on the viewer ist therefore more opticalerotic than outright sexual.”

He elaborates: “For my blue fantasy images, I was not on the lookout for fashionable pictures. I didn’t use any professional models whose expressions would have been geared to today’s taste. Instead, I was seeking models with a special kind of physical attractiveness, defined by my own tastes, of course. They were surprisingly easy to find. Every person invariably possesses certain aspects that are interesting and intriguing to photograph. Every woman is beautiful in her own way, yet this tends to be less obvious while she is dressed. A corpulant woman can emanate the beauty of a ripe fruit while a slender woman, undressed, can recall the ethereal beauty of a Giacometti sculpture. In my opinion, women tend to become more beautiful when they shed their clothes.”

 

Schumacher is known for his eclectic, graphic fashion of posing models. “The pose is what is important in terms of the model’s use of Space. To observe how a pose can assume a life of its own never ceases to fascinate me. Some women naturally assume certain positions that they have seen previously in erotic photography. By doing this, their natural body language is transformed into a foreign language.” Body language clearly plays a large part in the construction of Schumacher’s images.

According to Schumacher, the photographs in the blue fantasy work were not preconceived. They were spontaneous, and dictated by the “sets” that were constructed in his studio for non crelated advertising assignments. Between advertising shootings, before the sets were torn down, he would pose the Playboy hopefuls in whatever seemed to come forth naturally for both he and the model. “I have been very concerned with graphics for years. Most of my photographs are conceived around the graphics used to fill the frame. I have stored, in my head, an abundance of pictorial ideas and themes. They are released almost automatically during the photographic session. This is the reason why these photographs may look like painstakingly conceived compositions. It is imprtant to note that nude photography, for me, doesn’t lend itself to an overly formal approach. Models often find it uncomfortable to hold their positions for extended periods. They can easily become restless and bored. With this thought in mind, it is interesting to note that all of the images in this series required less than 15 minutes’ preparation”.

 

Many photographers find their inspirations in the models themselves: “Frequently, for me, the models carry their own inspiration. This, invariably, was the case with the models in the series. Most of the models hadn’t required any direction on my part in order to take their poses, instead choosing to conform to the conseiptions they maintained of themselves. All I needed to do, then, was to click the shutter. In fact, even vague suggestions can turn out to be very inspiring for the model. Occasional misunderstandings can lead to entirely new approaches. One girl, for instance, was told to “pose like a snail” and she assumed a position that would never have come to mind otherwise”.

In addition to his busy shooting schedule, Schumacher has taught photography over the years. To serious amateurs and young professionals, Schumacher offers: “Naturally, as a photographer, one automatically possesses pictorial ideas. If I didn’t, I wouldn’t have chosen this profession. They are indispensable. In the absence of a preconceived idea for a photograph, one approach is to talk your ideas over with the model, and let the idea assume a life of its own. If you don’t feel like talking about your ideas, the best approach may be simply to go ahead and start shooting. There is always a period of trepidation before a shooting. It’s perfectly normal, and forms a part of the tension necessary to create. I repeatedly tell my students that one has to take risks, even at the danger of becoming ridiculed. Once one has dared, on is often surprised and rewarded to find that ideas seem to arrive on their own. Creativity is always closely linked with courage”.

 

Melrose Publications, Los Angeles, California / Collector’s Photography 4 / 1987